Herbert Neidhöfer, homme de lettres

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Das Projekt

Die Clemens Limbularius Trilogie · ¡Hans Koberlin vive! · TEXT. Ein Text


»Vous désirez un tableau où les scènes dont je vous ai entretenu, ou celles dont nous avons été acteurs, ne perdent rien de leur lasciveté; que les raisonnements métaphysiques conservent leur énergie? En vérité, mon cher comte, cela me paraît au-dessus de mes forces.« (Jean-Baptiste Boyer, Marquis d’Argens, Thérèse philosophe, ou Mémoires pour servir à l’histoire du P. Dirrag et de Mlle Éradice, avec l’histoire de Mme Bois-Laurier, A La Haye 1748).

»Selbstanzeigen eben veröffentlichter Werke sind eine ebenso seltene wie schwierige Form der Autopräsentation eines Autors: gerade hat er ein dickes Buch geschrieben, dem Leser zur Last und Zumutung, und nun gibt er zu erkennen, daß man das doch auch viel kürzer sagen kann. Schlimm!« (Hans Blumenberg).

 


Der Ur-Clemens, gezeichnet von Ralf Thorn

 

Willkommen in der Welt des Clemens Limbularius und in der des Hans Köberlin!

Mein literarisches Projekt – das bisherige und das aktuelle – besteht aus vier in sich abgeschlossenen, aber sich aufeinander beziehenden Romanen, nämlich aus …

und das nach dem Abschluß von ¡Hans Koberlin vive! kommende Projekt wird sein …

Die Romane der Trilogie sind 2007, 2010 und 2013 im sine causa Verlag Berlin erschienen, ¡Hans Koberlin vive! ist, wie gesagt, zur Zeit noch work in progress, eine Publikation des ersten Teils ist in den kommenden Jahren vorgesehen.

Jeder der drei Romane der Trilogie und der vierte Roman bestehen aus vierundzwanzig, in drei Teilen angeordneten, Kapiteln.

Der Modus der Realitätssimulation der ersten drei Geschichten ist mehr oder weniger ein phantastisch abstrahierter, sie sind – nicht notwendig – in unserer Zeit angesiedelt; die vierte Geschichte dokumentiert die Tageskalenderblätter von 324 konkreten Tagen und simuliert dadurch mehr oder weniger eine Langzeitdokumentation.

Die Romane sind unter Verwendung hier nicht primär gebräuchlicher Idiome in der traditionellen Rechtschreibung und mit gelegentlichem Gebrauch von Archaismen und Neologismen verfaßt.

Die ersten drei Romane sind an Anfang, Mitte und Ende eines etwa zwanzig Jahre umfassenden Zeitraums im Leben eines Mannes angesiedelt, jener zwanzig Jahre, die man gemeinhin als die besten Jahre im Leben eines Mannes bezeichnet, die Jahre nämlich zwischen dreißig – »… mit dreißig ist man sich schuldig, etwas erreicht zu haben, oder man ist nichts. Und nichts ist erreicht, wenn man seinen Platz nicht gefunden, sein Nest nicht gebaut, keine Schlüssel, keine Büro, kein Türschildchen hat.« (Georges Perec, Die Dinge. Eine Geschichte der sechziger Jahre, aus dem Französischen von Eugen Helmlé, Zürich 2016, S. 50) – und fünfzig. Es sind dies die Jahre, in denen man sich für gewöhnlich beruflich und sozial etabliert, sein Haus bestellt (man höre BWV 106) und an seiner und an der Reproduktion seiner Gattung arbeitet. Nicht so Clemens Limbularius, der frühentwickelte Spätzünder und nixnutzige Emporkömmling. »Frühentwickelte haben mit Berufswahl große Mühe; sie verstehen alles und gehen mit ihrer Phantasie über Verhältnisse und Dinge hinaus.« (Robert Walser, Porträt; in: Sämtliche Werke in Einzelausgaben, hrsg. von Jochen Greven, Zürich und Frankfurt am Main 1985, Bd. 16: Träumen, S. 266).

Die zunehmende Dauer, die die Romane jeweils umfassen, entspricht dem veränderten Zeitempfinden des Protagonisten, und daß darin heute noch ein Zeitraum von zwanzig Jahren als ›unsere Zeit‹ bezeichnet werden kann – was ja eine gewisse Homogenität der Zeit suggeriert (»… the terrible flood of time …« (Thomas Pynchon, Against the Day, New York 2006, S. 1060)) –, zeugt von der phantastischen Abstraktion der Handlung, die davon absieht, daß sich der Kapitalismus als herrschendes Beschreibungsmodell der Welt etabliert hat sowie sich das weltweite Netz und das Taschentelephon als allgegenwärtige Medien global durchgesetzt haben.

Und während des vierten Romans ist dessen Protagonist …

»Der Mann, lieber Leser, mit dessen Charakter ich dich etwas genauer bekannt machen will, war kein Gelehrter, wenigstens hat er keine von den 9 Musen jemals mit Wissen erkannt; auch nicht vom Adel, physice gewiß nicht, Beförderer der Wissenschaften im eigentlichen Verstande war er auch nicht […] Weswegen war er denn also merkwürdig? Dadurch daß er alles dieses hätte werden können, wenn er vor ohngefähr 36 Jahren gewollt, und seit 20 Jahren her gekonnt hätte, durch die sonderbare Lage seines Standpunktes in der Welt, dadurch war er mir merkwürdig, den meisten Menschen war er es durch Eigenschaften, die in jenen ihren Grund hatten, durch seinen Hang, in dem bekannten Zustand zu sein, in welchen wir Christen uns durch den Wein und die Türken durch Opium sich zu versetzen pflegen, und überhaupt durch eine Lebensart, die bis auf den sechsten Nachbar zur Rechten und zur Linken und gegenüber mit gerechnet sehr rauschend war. Dafür war er aber, vermöge einer gewissen Gleichgültigkeit, in seinem Leben so billig, gegen ein leichtzugewährendes Stillschweigen, das die Nachwelt bei seinen Fehlern beobachten sollte, auf alles Lob seiner Tugenden Verzicht zu tun.« (Georg Christoph Lichtenberg, Zur Biographie Kunkels Gehöriges; in: Schriften und Briefe, München 1968ff., Bd. III: Aufsätze, Entwürfe, Gedichte. Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, S. 585f.).

… Hans Köberlin, der sich unter idealen Bedingungen schreibend von einer schweren persönlichen, im dritten Roman der Trilogie andeutungsweise geschilderten, Katastrophe regeneriert, zwischen 53 und 54 Jahren (exkl. Prolog und Epilog) alt.

Das fünfte Buch dagegen hat nur ein Kapitel und endet mit dem Ende. Wollte man einen Bezug zu den übrigen Romanen herstellen, dann könnte man sagen, TEXT. Ein Text ist der Text, den Hans Köberlin in seinem Exil an der weißen Küste zu schreiben begonnen hat.

»Jetzt muß sich es heben: wozu lebten wir denn, wenn wir nicht wenigstens im Finale frei würden?!« (Heimito von Doderer, Divertimento No VII: Die Posaunen von Jericho; in: Die Erzählungen, München 1980, S. 189).

Nähme man hinter jedem der Bücher dieses Πεντάτευχος ein großes implizites Thema an, so könnte man sagen:

Abgesehen von Homer, der wohl in irgendeiner Weise der Bezug aller Romanschreiber ist, würde ich mich – ohne mir anmaßen zu wollen, die Genannten je erreichen zu können! – in der literarischen Tradition von Cervantes, Sterne, Jean Paul, Melville, Flaubert, Joyce, Beckett, Flann O’Brien, Josefine Mutzenbacher, Anaïs Nin, Borges, Arno Schmidt, Svevo, Malerba, Bukowski, Okopenko, Pynchon, Queneau und Perec sehen. Telos und – und vielmehr noch – ¡Hans Koberlin vive! sind an außerliterarischen Vorbildern noch John Cage und Jean-Luc Godards Histoire(s) du cinéma (1988ff.) verpflichtet. Was die Genannten alle mehr oder weniger auszeichnet, ist ihre ›reflexive Komik‹. »Der Begriff«, so Brigitte Pichon, »bietet sich deshalb an, weil er gängige Wertungen wie ›grotesk‹, ›nihilistisch‹ oder ›absurd‹ umgeht und doch für die Atmosphäre der Romane bezeichnend ist. Denn die vorgeführten Situationen verlangen vom Leser gleichzeitig ein hohes Maß an Intellektualität und Frohsinn. Die Appellstruktur der Romane vermittelt jedenfalls die Einsicht, daß man reflexiv über alles lachen kann, selbst über die zwiespältigen Mechanismen unserer selbst. Dieses Lachen bezeichnet jedoch kein Gefühl des Überlegenseins über Situationen und Figuren als Resultat davon, daß man nicht involviert ist und sie distanziert durchschaut. Es ist ein Lachen, das gerade uns selbst umgreift und auch unser Bedürfnis nach Wissen und Engagement und die daraus resultierenden Inkongruenzen. Dieses Lachen hat auch nicht den versöhnlichen Charakter, wie er traditionellerweise […] vorherrschte. Es ist eher ein Lachen der Freude über Wahlmöglichkeiten als Modell eines souveränen Bewußtseins, das wir – wenn überhaupt – nur noch punktuell haben.« (Brigitte Pichon, Stil und Bewußtseinsökologie. Nathanael West und die dreißiger Jahre: ein (de)konstruktivistisches Vorspiel; in: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht und Karl Ludwig Pfeiffer, unter Mitarbeit von Armin Biermann, Thomas Müller, Bernd Schulte und Barbara Ullrich, Frankfurt am Main 1986, S. 45, siehe dort auch die Anmerkung 8 auf S. 48, in der es um die Genese des Begriffes ›reflexive Komik‹ geht).